Bevor wir für eine Weile das Festland verließen, um uns die drei größten estnischen Inseln zu erschließen, durchquerten wir zunächst mit den Rädern den Sooma Nationalpark. Dort zeigte Chris ihr Talent beim Holzhacken, wobei sie sich strikt an die Anweisungen hielt:
Solche genialen Holzspalter hat die estnische Forstverwaltung (RMK) im ganzen Land an zahlreichen, wunderschön gelegenen Biwakplätzen aufgestellt. Fast immer fanden wir an solchen Plätzen auch eine Feuerstelle, trockenes Feuerholz (!), Tisch und Bank, Mülleimer und ein Toilettenhäuschen vor. Und das Beste daran: All das wird kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Nach über 4.000 km auf dem Festland gönnten wir uns eine Abwechslung und fuhren mit der Fähre zunächst auf die Insel Muhu.
An dieser Stelle sei gesagt, dass sich die Anzahl der estnischen Inseln nach neuesten Erkenntnissen auf 2.222 beläuft – das sind 800 (!) mehr als bislang angenommen.
Ein typisches Bild für die Inseln sind alte Windmühlen:
Muhu bot eine kulinarische Überraschung: Es gab erstmals überhaupt im Baltikum dunkles Brot OHNE Kümmel! Wir kauften es frisch aus dem Ofen einer kleinen Bäckerei, wo man uns sagte, dass sich das Brot problemlos zwei Wochen halten würde – das konnten wir jedoch nicht überprüfen, da schon nach dem ersten Tag nur noch die Hälfte davon übrig war… 😉
Natürlich stand nicht nur Brot auf dem Speiseplan; immer wieder testeten wir auch die lokale Küche:
Von Muhu führt ein Damm nach Saaremaa, der größten Insel Estlands. Auf dem Damm kamen wir uns zum zweiten Mal vor wie in England, denn der Radweg führte auf der linken Straßenseite entlang:
Auf Saaremaa fuhren wir zunächst nach Orissaare. Hier steht der europäische Baum des Jahres 2015: Eine Eiche mitten auf dem örtlichen Fußballplatz! Der Baum stand ursprünglich neben einem kleinen Sportplatz; nach dessen Erweiterung war er plötzlich mittendrin. Angeblich konnten zwei von Stalins Traktoren den Baum samt Wurzeln nicht entfernen und so wird der Baum seit 1951 in jedes Fußballspiel unmittelbar einbezogen.
Nun wartete der Süden der Insel auf uns. Unterwegs passierten wir Valjala mit seiner 800 Jahre alten Kirche:
Einen weiteren Halt machten wir am Meteoritenkraterfeld von Kaali. Vor über 4.000 Jahren ist hier ein Meteorit „gelandet“ und hat dabei insgesamt 9 Krater geformt. In einer Tourismusbroschüre für Kinder wird das so beschrieben:
„Kaali war schon ziemlich alt und die Winde des kalten Kosmos taten seinen alten Gelenken nicht gut. Als Kaali die Insel Saaremaa entdeckte, gefiel sie ihm so gut, dass er hier wohnen wollte. Unter einem verträumten See hat er sich ein gemütliches Zuhause eingerichtet und Ernst, sein Spinnen-Freund, strickt ihm einen warmen Schal, während er ihm Gesellschaft leistet.“
Schließlich erreichten wir Kuressaare, die Hauptstadt Saaremaas. Die Stadt bildete sich um eine Bischofsburg, die 1381 erstmals erwähnt wurde und ist heute ein beliebter Kurort.
Von Kuressaare ging es in den Norden der Insel, zu den Cliffs von Panga:
Auf der Weiterfahrt bekamen wir das Herbstwetter mal so richtig zu spüren, es war kalt und regnete in Strömen. Trotz voller Regenmontur waren wir nach zwei Stunden ziemlich durchnässt und hatten Mühe, unsere Klamotten bis zum nächsten Morgen wieder zu trocknen. In klammen Jacken fuhren wir tags drauf zur Fähre nach Hiiumaa, der letzten von uns bereisten Insel.
Das Wahrzeichen dieser Insel ist der drittälteste noch in Betrieb befindliche Leuchtturm der Welt:
Zurück auf dem Festland kamen wir an der Ruine von Schloss Ungru sowie einem verlassenen sowjetischen Militärflughafen vorbei. Beide Objekte übten trotz ihres verfallenen Zustandes einen großen Reiz auf uns aus:
Trotz aller Faszination freuten wir uns dann, als wir in das schmucke Städtchen Haapsalu kamen.
Dort trafen wir tatsächlich um diese Jahreszeit (Ende September) noch andere Tourenradler. Alan und Wendy aus London waren mit einem Tandem unterwegs in die Richtung aus der wir kamen. Und so tauschten wir bei einem gemütlichen und sehr lustigen Abendessen unsere Erfahrungen aus.
Die beiden Engländer schwärmten von einem Schlösschen, in dem man wunderbar und zu einem moderaten Preis übernachten könne. Padise lag auf unserem Weg und so machten auch wir dort Halt. Am nächsten Morgen wollten wir noch kurz die gegenüberliegende Burgruine besichtigen. Diese entpuppte sich als eine Art Abenteuerspielplatz für Große – ohne Netz und doppelten Boden, d.h. ohne irgendwelche Absicherungen – und so hielten wir uns deutlich länger auf als gedacht.
Am Tag der Deutschen Einheit war es gerade warm genug für eine der inzwischen selteneren Zeltnächte im Herbst. Und wieder einmal bescherte uns der RMK ein herrliches Plätzchen, diesmal direkt am Meer.
Morgens waren wir schon früh auf und genossen den Sonnenaufgang in „unserer“ Bucht.
Auf unserem weiteren Weg lag das Schloss Keila-Joa mit dem Keila-Wasserfall auf dem Parkgelände:
Und von dort aus war es nur noch ein „Katzensprung“ bis in die dritte Hauptstadt des Baltikums, Tallinn.
Einschub: Als wir unseren Reiserythmus gefunden hatten, wurde uns bald klar, dass wir es in diesem Tempo nicht vor Einbruch des Winters bis nach Skandinavien schaffen würden. Daraufhin haben wir beschlossen, uns ganz auf Polen und das Baltikum einzulassen.
Mit dem Wetter hatten wir großes Glück: Wir entgingen der Rekordhitze in Deutschland – der baltische Sommer war zum Radeln perfekt mit Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad. Auch der September zeigte sich von seiner schönen Seite, für baltische Verhältnisse ungewöhnlich mild und sonnig.
Als wir in Tallinn eintrafen, kam der Wetterumschwung: Plötzlich hatten wir Temperaturen um 0 Grad und Regen kündigte sich an. Damit stand für uns fest, dass wir jetzt das Ziel unserer Reise erreicht hatten.
Der Legende nach ist derjenige Herrscher über Estland, dessen Fahne auf dem „Langen Hermann“ gehisst ist. Estland ist seit 1991 unabhängig und seither weht hier die blau-schwarz-weiße Flagge:
Mit diesen Eindrücken und einem letzten Blick vom Meer aus auf die Stadt verabschieden wir uns vom Baltikum.
Zurück ging es per Fähre – zunächst nach Helsinki und von dort nach Travemünde. Die Heimat hat uns wieder.
Danke, dass Ihr uns auf unserer Reise begleitet habt!
Und wie immer kommt das Beste zum Schluss. 😉
PS: Nach Sichtung aller Bilder werden wir auf diesem Blog sicher noch das eine oder andere „Fundstück“ präsentieren.
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